Ratgeber Sportmedizin

Wie hilft Sport in Zeiten von Corona?

Adobe Stock zoom Vieles – für viele fast zu viel – wurde bereits über die Pandemie der COVID-19-Infektion geschrieben. Eine Infektion mit dem Virus kann uns alle treffen, da es leicht übertragen werden kann, sich in den oberen Luftwegen ansiedelt und sich von dort ausbreitet.

Beschränkung der sozialen Kontakte, Abstandhalten und Mund-Nase-Bedeckung haben bisher dazu beigetragen, die Infektionswelle abzuflachen und eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Das wird uns aber wahrscheinlich nicht vollständig vor dem Risiko einer Infektion schützen, sondern eher den Zeitpunkt des Geschehens hinauszögern. Entscheidend ist, im Falle einer Infektion gesundheitlich und in Bezug auf körperliche Fitness auf einem optimalen Niveau zu sein.

Wir müssen davon ausgehen, dass das Infektionsrisiko noch über Monate bestehen bleibt. Wichtig ist, dass wir unsere körperliche Leistungsfähigkeit und die Funktion unserer Organsysteme erhalten und, bei körperlich Inaktiven, möglichst auch steigern. Das geht nur mit körperlichem Training.

Was nützt uns Sport im Zusammenhang mit der COVID-19-Infektion? Das Risiko einer Infektion können wir damit nicht vermindern, aber unseren Körper besser auf die Verarbeitung der Infektion einstellen. Maßvolle körperliche Aktivität führt nachweislich zu einem stabilisierenden Effekt auf das Immunsystem. Dieser Effekt besteht einerseits in einer verbesserten Einstellung auf einen neuen Erreger (hier auf die SARS-CoV-2-Viren) und dessen Elimination, andererseits in der Vermeidung einer überschießenden Reaktion des Immunsystems. Training und verbeserte körperliche Leistungsfähigkeit steigern Zahl und Funktion hemmender Zellen (sogen. T-regulatorische Zellen) des Immunsystems, die wichtig für eine angemessene Reaktion des Körpers auf das neue Virus sind. Denn es ist eine Überschussreaktion, die letztlich den Organismus überlastet und zum Versagen bringt. Hierin liegt wahrscheinlich auch ein Grund für die schwereren Krankheitsverläufe und häufigeren tödlichen Ausgänge der Infektion bei älteren Menschen. Natürlich sind die Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Erkrankungen des Herzkreislaufsystems, Lungenerkrankungen, Typ-2-Diabetes und Rauchervorgeschichte stark risikoerhöhend; unabhängig davon können aber Ältere die hemmenden Zellen des Immunsystems nicht mehr so effizient aktivieren. Dadurch reagieren sie auf neue Erreger heftiger und weniger angemessen.

Für das Training und die Aktivierung des Immunsystems sind Ausdaueraktivitäten mit mittlerer Intensität besonders zu empfehlen; die Dauer sollte zwischen 10 und 60 min liegen. Hier ist die stimulierende Wirkung nachgewiesen. Erschöpfende Ausdauerbelastungen schwächen das Immunsystem durch Unterdrückung der Immunkompetenz. Die Ausdauerübungen sollten durch Kraft- und Koordinationsübungen sinnvoll ergänzt werden.

Aber nicht nur das Immunsystem ist für das Überstehen einer Infektion wichtig. Bei schwererem Verlauf werden Herz, Gefäße und Lunge in höchstem Maß durch Fieber und schnellem Puls belastet. Es steht außer Frage, dass das Herzkreislaufsystem durch körperliches Training leistungsfähiger erhalten und die Belüftung der Lunge gefördert wird, und das unabhängig vom Alter. Wer als kardiopulmonaler Patient schon früh an der Leistungsgrenze ist, hat eine geringere Reservekapazität für die erfolgreiche Bewältigung einer COVID-19-Infektion.

Glücklicherweise ist in Deutschland die individuelle sportliche Betätigung unter freiem Himmel nicht verboten worden. In Ländern mit strengem Lockdown können Probleme durch fehlende Alltagsbelastungen vor allem am Muskelsystem und in Stoffwechselfunktionen auftreten. So führt eine Reduktion der täglichen Schrittmenge von 10.000 auf unter 2.000 Schritte zu einer reduzierten Insulinempfindlichkeit und zu einem Muskelmasseverlust von ca. drei Prozent innerhalb von zwei Wochen. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie durch eine verminderte physische Aktivität wären dann ein beschleunigter Alterungsprozess im Muskel-Skelettsystem, Muskelschwund, Leistungsabbau und Einbußen im selbstbestimmten Leben.

Es sollte nicht vergessen werden, dass Sport und Bewegung einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die psychische Gesundheit haben. Waren es am Anfang der Pandemie Ängste und Sorgen, so nehmen depressive Erkrankungen mit zunehmender Dauer von Beschränkungen zu. Nach einer Studie aus dem Jahre 2017 könnten etwa zwölf Prozent der Depressionen vermieden werden, wenn mindestens eine Stunde moderater Sport wöchentlich betrieben wird. Sportlich aktive Menschen erleben die wohltuende Wirkung auf Stimmung, Spannungszustand und psychische Verfassung sehr unmittelbar.

Empfehlungen zum körperlichen Training:

  • Tägliche mehrmalige Atemübungen mit tiefem Ein- und Ausatmen zur Belüftung der Lunge
  • Tägliche Übungen mit Ausdauer-, Kraft- und Koordinationselementen
  • Angepasste Übungen für Senioren oder Patienten (Downloads unter https://www.sport.mri.tum.de/de/downloads.html)
  • Tägliche körperliche und sportliche Aktivität mit moderater Intensität („Laufen ohne zu Schnaufen“, Nordic Walking, Trainingspläne: www.sport.mri.tum.de/lauf10)
  • Keine zusätzliche körperliche Aktivität bei vorliegenden Krankheitssyndromen
  • Dem Körper nach dem Training Regenerationsphasen geben 
  • Hygiene- und Verhaltensregeln einhalten

(Nach Veröffentlichungen in: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 4/2020 und 5/6/2020 von Bloch et al.; Wackerhage et al. Claussen et al.)

Dr. Helmut Zerbes, Sächsischer Sportärztebund

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